Meine teuerste Schwester.
Ich hatte die Freude, Ihren aus Florenz datierten Brief zu empfangen. Darin sehe ich,
meine teure Schwester, viele schöne Kirchen, schöne Grabmäler und schöne Altertümer.
Aber ich gestehe Ihnen, dass ich ganz bekümmert bin, darin nicht die einzige Sache
zu finden, die ich suche: Die Wiederherstellung Ihrer Gesundheit. Ich glaube, dass
maßvolle Bewegungen Ihnen sehr heilsam sein können. Aber ich fürchte, dass die Mühen
einer langen Reise Sie zu sehr anstrengen. Sie werden Italien als eine alte Kokette
vorfinden, die sich für ebenso schön hält, wie sie es in ihrer Jugend gewesen ist,
und die noch immer anhand einiger Überreste schöner Züge darauf schließen lässt, was
sie einstmals gewesen ist. Die Spuren der römischen Größe, die nach so vielen Jahrhunderten
noch vorhanden sind, die berühmten Reichtümer, welche die frömmlerischen Betrügereien
dem Aberglauben des barbarischen Europas abpressten, eine Stadt, die durch ihre Eroberungen
zur Hauptstadt der heidnischen Welt und durch ihre geschickten Ränke zur Hauptstadt
der christlichen Welt wurde. Das ist in etwa das, was Sie in Italien vorfinden können.
Wenn Sie dem die Meisterwerke der einstmals unter Augustus und unter Leo X. blühenden
Künste hinzufügen; und für die Gegenwart die Herren Soprane, schlechte Komponisten,
erbärmliche Maler, noch erbärmlichere Bildhauer, den Papst, einst Souverän, der Schlosskaplan
der Könige «L’aumoniér des Rois» – Bezeichnung für den der Hofkapelle zugeordneten Kleriker. geworden ist, schwache Kleinstaaten; sehr viel Raffinesse, Geist, aber keine Genialität;
ein Volk, gemacht, um die Sklavenfessel des erstbesten Besatzers zu tragen; ein göttliches
Klima, schlechte Gesellschaft; sehr viele Reichtümer im Besitz der Geizigen, Mönche
und Priester aller Arten; sehr viel Glaubenseifer, keine Religion; sehr viel Unwissenheit
und sehr viel Voreingenommenheit. Mit einem Wort: Die heutige Welt ist für Italien
nicht mehr vergleichbar mit derjenigen von Caesar oder Augustus. Und wenn man sie
mit jener von Leo X. vergleicht, ist es wie mit einer schlechten Stiftzeichnung nach
einem schönen Gemälde von Guido. Ich hoffe sehr, meine teure Schwester, dass Sie meinen
Brief nicht den Personen zeigen werden, die Sie gegenwärtig umgeben. Dies hieße nicht,
den Herren Ultramontaniern Ein zunächst neutraler Begriff, der im Laufe des 18. Jahrhunderts eine negative Konnotation
erhält und sich auf katholische Frömmler und Papisten bezieht. [CW] meine Reverenz erweisen, die nichts Eigenes an den ihnen verbliebenen Denkmälern
der Größe haben, und wie die Bettler sind, die, wie das Sprichwort sagt, viel eitler
sind als die Reichen. Ich bitte Sie tausendmal um Entschuldigung für mein dreistes
Geschwätz. Vielleicht bin ich wie der Fuchs, der die Trauben Anspielung auf die Fabel „Der Fuchs und die Trauben“, die dem antiken Fabeldichter
Aisopos (lat.: Aesopus) zugeschrieben wird. Inwieweit die Person des Dichters historisch
gewesen ist, lässt sich nicht ausmachen. Der französische Dichter und Schriftsteller
Jean de La Fontaine(1621–1695) adaptierte für seine zwischen 1665 u. 1667 entstandenen
Fabeldichtungen u. a. auch diese antike Quelle. «Le Renard et les Raisins» gehörte
1668 zur ersten Ausgabe seiner ironischen Lehrfabeln. {Der König besaß in seiner Privatbibliothek
sowohl eine Ausgabe der Aisopos-Fabeln in französischer Übersetzung (#396) als auch
verschiedene Auflagen der Werke von (#392) La Fontaine, 1746.} [GB/reh] sauer fand, weil er davon nicht essen konnte; oder jener Galeerensträfling, der es
sich zur Gewohnheit gemacht hatte, auf seiner Galeere zu rudern, und mit Geringschätzung
die Menschen betrachtete, die sich ihrer Freiheit erfreuten. Ich bitte Sie, vergessen
Sie nicht die theodisken Tudesques = veraltetes Wort für „altdeutsch“ oder „deutsch“, geht zurück auf „theodisce“,
daher auch ital. „tedesco“, was wohl der Grund für Friedrichs Wortwahl gewesen sein
dürfte. [FW/CW] Bewohner an den Gestaden der Ostsee. Und möge Ihnen das schöne Klima Italiens keinerlei
Widerwillen gegen den Raureif Ihres heimatlichen Klimas eingeben. Ich bin mit der
allervollkommensten Zuneigung,