Meine teuerste Schwester
Ich habe oft die Feder zur Hand genommen, um Ihnen während meiner Reise zu schreiben,
ohne jemals dazu zu kommen, einen Brief zu vollenden. Seien Sie überzeugt, teure Schwester,
dass der Gedanke an Sie zu stark in mein Herz eingeprägt ist, so dass nichts auf der
Welt ihn daraus tilgen könnte. Er reiste mit mir, und ich kann nichts dafür, wenn
es nicht oft in Ihren Ohren geklungen hat, da ich in Gedanken bei Ihnen war. Ich habe
das Vergnügen gehabt, mich über Sie in Rom mit dem Grafen Bielcke zu unterhalten,
der von Ihrer Güte durchdrungen ist. Mit der ausgleichenden Gerechtigkeit ihm gegenüber
haben Sie das Herz von ganz Rom gewonnen. Ich wünschte, dass Sie für einige Zeit von
Ihrer Größe herabsteigen könnten, um dieses Italien zu sehen, das man so sehr preist,
und das ich besser gefunden habe, als man sagt. Ich glaubte, dass ich verzaubert wäre,
und dass ich mich in einem Wohnsitz der Feen befände. Ich habe in diesem bezaubernden
Land alles das gesehen, was Pracht und Geschmack sich an Vollkommenstem ausdenken
können, zuzunehmen. Aber ich bin nach meiner Rückkehr in meinen alten Zustand zurückgefallen.
Und ich wurde gewahr, dass der Großteil meiner Übel von der rauen und groben Luft
herrührte, die wir atmen. Frankreich ist nicht so, wie man es uns ausmalt. Es gibt
da nur sehr gewöhnliche Dinge, welche das Volk wie Wunder darstellt. Frankreich erstrahlt
durch seine Gesellschaft. Ich habe da eine Reihe von Leuten aus Paris und sehr viele
Literaten gesehen, die beinahe täglich bei mir gewesen sind. Die Provinzler sind viel
liebenswürdiger als die Pariser. Letztere sind unerträglich zu den Frauen und nur
zu den Männern liebenswürdig. Man bekommt kein Wort aus ihnen heraus, wohingegen die
Anderen an allem teilnehmen.
Ich habe die Marmore erhalten, die Sie die Güte hatten, mir zuzuschicken, wofür ich
Ihnen tausendmal Danke. Ich wäre Ihnen gern bei irgendetwas nützlich, und möchte Ihnen
zumindest in Kleinigkeiten, da ich es im Wesentlichen nicht kann bezeigen, wie sehr
ich Ihnen verbunden bin, indem ich bis zum Grabe die Ihre bin