Perspectivia

(Mein teuerster Bruder

Man sollte meinen, dass die Provence ihre Lage geändert habe und sie nach Sibirien verbracht worden wäre. Ich habe niemals einen Winter zugebracht, der diesem hier gleicht. {La Condamine beschäftigten gleichfalls die außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse in seinem Reisebericht über Italien, seine Reise führte ihn von Paris über Südfrankreich nach Italien: (#76) La Condamine [20 Avril 1757.], 1762: 336 ff. und (#75) La Condamine, 1763.} Meine Gesundheit leidet darunter, was mich gehindert hat, schreiben zu können. Da sich das Wetter seit vorgestern von Neuem ein wenig verbessert hat, habe ich daraus Gewinn gezogen, um hierher zu kommen, denn das fortgesetzte Ausruhen richtet meine Gesundheit zu Grunde. Ich habe von der kleinen Ruhepause profitiert, die uns Boreas gab, um die Altertümer zu sehen. Der Triumphbogen des Marius ist sehr schön. Eine der Hauptfassaden ist recht gut erhalten. Er ist von korinthischer Ordnung und die Höhe ist der des Berliner Schlosses vergleichbar. Es gibt darauf mehrere Basreliefs, welche die beiden Schlachten darstellen, welche Marius über die Teutonen und die Bataver gewann. Die anderen stellen Trophäen und Opferwerkzeuge dar. Das Ganze ist, wie es mir scheint, zu überladen. Die Arenen sind so beschädigt, dass man dort nichts mehr erkennt. Es gibt nur einen ein Stück der äußeren Mauer, der noch besteht, von welchem man auf die Höhe und die Erhabenheit dieses Gebäudes schließen kann. In zwei oder drei Jahren wird man nichts mehr von dem Triumphbogen sehen. Dem Gewölbe droht Zerfall. Man könnte ihn mit wenig Mühe wiederherrichten, aber man wird nichts daran machen. Die Stadt ist äußerst hässlich. Es gibt eine erstaunliche Anzahl Protestanten, welche sich Preußen nennen lassen. In Kürze, mein teurer Bruder, werden Sie den größten Teil davon haben. Sie denken nur daran, fortzugehen, und haben mir gegenüber kein Geheimnis [daraus ]gemacht. Die Steuern und die Abgaben sind dergestalt, dass Ihnen kaum ein Drittel ihrer Einkünfte übrigbleibt. Der Zwist des Königs mit der Geistlichkeit hat die Geister ein wenig beruhigt, aber jene, welche die Regierung kennen, sagen voraus, dass sich das Parlament aller Amtsgewalt bemächtigen wird, wenn der Hof nicht versucht, sich Achtung zu verschaffen. Man fürchtet beide Widersacher gleichermaßen. Ich werde hier die Rückkehr des Markgrafen abwarten, den ich heute oder morgen erwarte. Ich empfehle mich wiederum Ihrem wertgeschätzten Angedenken und bin, mit aller vorstellbaren Hochachtung,

Mein teuerster Bruder,
Ihre ergebenste, gehorsamste Schwester und Dienerin
Wilhelmine

Orange, den 20. Februar 1755.)