Ich bin seit dem 27. hier. Die Straße Zu den ersten Erbauern der Via Appia (Appische Straße), Hauptstraße zunächst zwischen Rom u. Capua (später verlängert), zählt 312 v. Chr. der röm. Censor Appius Claudius Caecus (um 340 v. Chr.–273 v. Chr.). Die Straße ist die erste „via publica“, die den Namen ihres Erbauers trug, und sicherte damit die Erinnerung an diese bedeutende Römer-Familie. Sie war gleichzeitig Instrument der Außenpolitik u. symbolisiert den Expansionsdrang zum röm. Weltreich. {Cfr.: (#407) Mrozewicz, 2004: 345–359, bes.: 347 ff. mit Anm. 11; cfr.: (#408) Klee, 2010: 14-15, 26-27.} Bes. in der Nähe Roms war die Via Appia z. T. von prächtigen Grabmälern, wie z.B. das der Konsultochter Caecilia Metella, gesäumt. Der mangelnde Unterhalt der antiken Bauwerke u. Grabmäler entlang der Straße machte diese zunehmend unbefahrbar. Erhaltungseingriffe finden u. a. im 18. Jh. während der Regierungszeit Karls VII., König von Neapel und beider Sizilien statt. {Siehe auch: (#178) Brief v. 7. Juli 1755, mit Anm. 1.}, die hierher führt, scheint der Weg zur Hölle zu sein. Nie habe ich für die Familie der Appier etwas übrig gehabt, aber jetzt hasse ich sie tödlich, seit ich die von ihr erbaute scheußliche Straße gekostet habe. Noch mehrere Tage danach war ich krank und außerstande auszugehen. Ich finde Neapel ganz anders, als man es mir geschildert hat. Die Stadt ist groß, die Straßen sind ziemlich gut angelegt, aber sehr schlecht gebaut. Man sieht hier nicht das geringste Baudenkmal. Die Kirchen lassen sich mit denen von Rom und Florenz nicht vergleichen. Man glaubt sich in einem Tollhause. Das Volk, äußerst zahlreich, schreit Tag und Nacht derart, daß man nicht schlafen kann und im Kopfe wirr wird, so daß man nicht weiß, was man tut.
Am Tage nach meiner Ankunft war eine große Prozession, der der König beiwohnte. Da ich krank war, konnte ich sie nicht sehen. Der König beschäftigt sich mit Jagd und Fischfang, während die Königin alle Geschäfte leitet … Gestern war ich in Pozzuoli, in Baja und [Cumae]; ich habe zwei Tage dort verbracht. Seit langem habe ich keine so lebhafte Freude empfunden. Vom Elysium kam ich in den Tartarus Tartarus (lat.; griech.: Tartaros) ist in der griechischen und römischen Mythologie der Ort der Strafe in der Unterwelt, dem Hades. und besuchte alle Wohnstätten der Alten. Nichts ist bewundernswerter als die Piscina des Lucullus Wilhelmine verwechselt hier möglicherweise die „Piscina di Lucullo“ mit der am Kap Misenium liegenden „Piscina mirabilis“. {Erwähnung in Wilhelmines Reisebericht «Voyage d‘Italie»: (#60) Tagebuch, 2002: 65, Piscina Mirabile.} {Zu Wilhelmines Aufenthalt in Neapel u. den antiken Stätten: (#88) Kammerer-Grothaus, 1998: 7–41.} Octavian (63 v. Chr.–14 n. Chr., seit27 v. Chr.: Kaiser Augustus) ließ, um seine Kriegsflotte (classis praetoria Misenensis) möglichst rasch versorgen zu können, nahe bei Misenum (am östlichen Rand der Halbinsel am Golf von Neapel) ein riesiges, unterirdisches Wasserreservoir, die Piscina mirabilis, anlegen. Die Zisterne, nach Petrarca das „wunderbare Becken“, wird durch 48 Säulen gestützt und soll 12.600 m³ Wasser fassen. In der später von Augustus dort angelegten Siedlung ließen sich, auch infolge der politischen Machtverschiebung im Römischen Reich, vermögende römische Politiker und Bürger private Landsitze gestalten, wie auch der Konsul Licinius Lucullus (ca. 117[?] v. Chr.–56[?] v. Chr.). Dieser hatte mehrere Villen zwischen Rom und Neapel, ließ sich dort auf „unterirdischem Wege Meerwasser zu seinem Villengrundstück leiten, um dort ein künstliches, mit marinen Fischen besetztes Becken mit frischem Wasser zu versorgen [...]“. {Zitiert nach: (#203) Schmölcke/Nikulina, 2008: 36–55, hier: 48.} {Beschreibung, cfr.: (#199) Loffredo, 1570, Kap. 24.} {Grundlegend: (#200) Chiappella, 1965: 146–160.} {Cfr.:(#202) Higginbotham, 1997.} {Cfr.: (#201) Kunze, 1996: 163, Anm.: 79, bes. auch: Anm. 82.}, die noch völlig erhalten ist. Achtundvierzig Säulen tragen ungeheure Wölbungen; sie bilden sechs Gänge. Weiterhin erblickt man die Ruinen seines Palastes, aber es ist unmöglich, sich irgendeinen Begriff von dem Bauwerk zu machen … Aus allem, was ich sah, ergibt sich, daß die Alten sehr im Schatten lebten. Ihre Wohnungen erhielten nur von der einen Seite Licht; auf der anderen lehnten sie sich an den Felsen … Fast überall finden sich unterirdische Räume, die hierhin und dorthin führen. Sie zerfallen in mehrere Kammern und Gänge; manche sind drei Stockwerke hoch. Man hat ihnen Namen gegeben, aber ich glaube, man wird nie erfahren, wozu sie gedient haben und warum sie erbaut sind. La Condamine und ich sind auf allen Vieren hinabgekrochen und auf Leitern hinaufgestiegen. Kurz, wir haben uns durch unsere Nachforschungen unsterblich gemacht und dies gefährliche Wagnis als Abstieg in die Unterwelt bezeichnet. Nur sehr ungern verließ ich diese Stätten. Gehörten sie mir, ich machte sie zum Kleinod, und man sollte in ihnen manches entdecken, was Aufschluß gäbe, aber statt zu entdecken, zerstört man. Für eine elende Statue vernichtet man Dinge, die anderswo unschätzbar wären …
Herculaneum entspricht den Schilderungen nicht. Ich war dort. Es ist ein Bergwerk, dessen Wände die Lava bildet. Man erkennt nicht das Geringste. Während ich dort war, wurden zwei schöne Mosaikfußböden entdeckt. Aus zwei in der Nähe stehenden weißen Marmorsäulen und der Größe der Fußböden schloß ich, daß es ein Tempel gewesen ist. In Baja hat man neuerdings auch ein Grab entdeckt, das, wie die Inschrift zeigt, der Familie Popilia gehörte. Man fand dort zwei einbalsamierte Leichen in prächtigen Gewändern mit Goldborten ohne Seideneinschlag. Aber man grub sie so unvorsichtig aus, daß sie zerfielen. Ich sah dieses Grab; es ist so gut erhalten, als wäre es neu, und voll antiker Malereien. Hätten wir Werkzeuge gehabt, wir hätten sie mitnehmen können. Ich hätte es wie der heilige Franciscus {Vgl. hierzu: (#7) Volz Briefe, 1926, hier: Bd. 2: 306 mit Anm. 2. Volz sieht in der Nennung des heiligen Franziskus „[w]ohl eine Verwechslung mit dem heiligen Crispinus [?–287], der Leder stahl, um daraus für die Armen unentgeltlich Schuhe anzufertigen“.} gemacht und sie gestohlen, um sie Dir zu schicken.